“Das haben wir den Bonnern echt nicht gegönnt”

 
Philipp Wetterich im Finale gegen Bonn am Ball. Leander Troll (in blau mit der Nummer 7) verfolgt ihn.© Van Klaveren Quidditch Photography (Links zu mehr Fotos am Ende des Artikels)

Philipp Wetterich im Finale gegen Bonn am Ball. Leander Troll (in blau mit der Nummer 7) verfolgt ihn.

© Van Klaveren Quidditch Photography (Links zu mehr Fotos am Ende des Artikels)


Fünf Jahre ist eine lange Zeit. Zu dem Zeitpunkt als die erste deutsche Quidditch DM ausgetragen wurde, war Barack Obama noch US-Präsident, gab es Netflix erst seit gut einem Jahr in Deutschland und das Brexit-Referendum war noch weit entfernt. Auf zwei Pitches spielten am 23. und 24. Januar 2016 sechs Teams in Darmstadt um den Titel: Bowticores (Zusammenschluss der Teams Black Forest Bowtruckles aus Freiburg und Frankfurt Mainticores), Darmstadt Athenas, Rheinos Bonn, Ruhr Phoenix aus Bochum, Three River Dragons Passau und Tübinger Thestrale.

Nach einer Vorrunde, in der jeder gegen jeden spielte, kamen die besten vier Teams ins Halbfinale. Im Finale standen sich Bonn und Darmstadt gegenüber. Mit einem Endergebnis von 90*-60° gewannen die Rheinos Bonn die erste DQM. Alle weiteren Ergebnisse gibt es hier.

Zum fünften Jubiläum haben wir drei Spieler*innen zum Gespräch gebeten, die damals auf dem Platz standen: Lena Nicklas (Passau), Philipp Wetterich (Darmstadt) und Leander Troll (Bonn). Letzterer erschien wie immer stilsicher im Quidditchtrikot (diesmal eines der Darmstadt Athenas).


Magazin des unpopulären Sports: Was ist das erste was euch zur DQM 2016 einfällt?

Lena Nicklas: (lacht) Es war die Geburtsstunde unserer berühmten Hassliebe zu Bochum.

Philipp Wetterich: Ich denke im ersten Moment an kalte Hände und Flutlicht. In meiner Erinnerung sind irgendwie alle Spiele bei Flutlicht.  

Troll: Bei mir ist auch alles im Hellen verdrängt. Da haben wir gegen Darmstadt verloren. Daran erinnere ich mich nicht so gerne. Im Dunkeln wurde es dann emotionaler. Da waren dann auch diese berühmt-berüchtigten Passau-Bochum-Eskapaden. Das Spiel um Platz 3 war doch besonders historisch.

Nicklas: Ja, aber das ging schon beim ersten Spiel los. Das war Samstagnachmittag und da sind uns gleich in den ersten Minuten durch Bochum unsere besten Male-Chaser kaputt gegangen. Und dann war’s schon vorbei. (alle lachen) 

MUS: Mit was für Erwartungen seid ihr 2016 zu dem Turnier gereist?

Troll: Wir sind mit völliger Selbstüberschätzung reingegangen. Aber diese Anfangszeit hat richtig viel Bock gemacht. Wir haben gedacht, wir machen das jetzt einfach, aber haben nicht ernsthaft erwartet, dass wir was gewinnen oder sogar das Turnier gewinnen können. Wir haben die epische Atmosphäre zelebriert und sind mit geiler Einlaufmusik ins Stadion gekommen, was außer uns kaum jemand mitbekommen hat. Aber wir fanden es total cool.

Wetterich: An eure Einlaufmusik erinnere ich mich noch ziemlich gut. Wir Darmstädter haben das Turnier ja organisiert und waren schon zwei Stunden früher da. Dann kam plötzlich so eine Truppe in passenden Hoodies mit einem Lautsprecher. Wir dachten, “Was kommt denn da an?” In dem Moment hatten wir schon ein bisschen Schiss, muss ich ehrlich sagen. Ein paar Teams kannte man schon, aber die noch niemand. Die Einlaufmusik war nicht zu unterschätzen. Bis wir dann Ärger vom Stadionleiter bekommen haben, der meinte, dass man hier doch keine Musik spielen könne.

MUS: Mit welcher Begründung?

Wetterich: Ruhestörung oder so. Vielleicht hat er aber auch Angst gehabt. (alle lachen)

Troll: So viel Angst könnt ihr nicht gehabt haben. Ihr habt uns echt gut rasiert. Das Gruppenspiel war eine herbe Niederlage. 

MUS: Was war im Finale gegen Darmstadt dann anders? Habt ihr eure Taktik oder Einstellung geändert? 

Troll: Wir hatten überhaupt keine Ahnung was wir da machen. Wir waren einfach ein paar Dullis, die gesagt haben: “Wir sind cool, wir haben jetzt Bock das zu machen!” Wir hatten keine Taktik. Ich erinnere mich zumindest nicht, dass wir irgendwelche ausgefeilten Gedanken dazu hatten. Vom EQC wusste eigentlich niemand etwas. Vielleicht zwei, drei Leute im Team, die mal etwas darüber gelesen haben. Die meisten haben gesagt: “Als ob jemand für Quidditch ins Ausland fährt”. Vor dem Finale war dann zumindest klar, dass die Teilnahme am EQC gesichert ist, was auch immer das heißt. Ich vermute, dass wir im Finale weniger verkopft waren. Im Gruppenspiel war Darmstadt deutlich besser. Aber im Finale haben wir nicht drüber nachgedacht, sondern gesagt, “jetzt haben wir Spaß”.

Lena Nicklas (Nummer 28) im Einsatz als Beaterin für die Three River Dragons Passau.© Van Klaveren Quidditch Photography

Lena Nicklas (Nummer 28) im Einsatz als Beaterin für die Three River Dragons Passau.

© Van Klaveren Quidditch Photography

“Wir konnten uns nicht vorstellen, dass wir mit den Bonnern jemals etwas zu tun haben werden”

MUS: Wie sah es mit Taktik bei Passau und Darmstadt aus?

Nicklas: Ich war zu der Zeit im Auslandssemester, deswegen weiß ich es gar nicht genau. Ich war nur einmal bei einem “Bootcamp” kurz nach Weihnachten dabei. Das war die Zeit, in der zum Beispiel Marco (Ziegaus, Anm. d. Red.) und Tobi Mirwald angefangen haben. Wir hatten noch nie ein Turnier zusammen gespielt, aber viel Talent dabei und was die Taktik angeht, war bestimmt eine da, denn das haben Chris (Häuser) und Peter (Bogner) gemacht. Ich bin nicht so ein Taktikgenie, kann also nicht so viel dazu sagen.

Wetterich: Zu der Zeit kam Lisa Tietze aus Trondheim zurück und war wesentlich professioneller als das komplette deutsche Quidditch zusammen. Die hatte schon einen guten Plan davon, was auf uns zukommt. Der Rest von uns nicht so, aber es lief ganz gut. Wir hatten 21 Leute im Kader und alle hatten tatsächlich gleich viel Spielzeit, weil wir in Dreier-Rotation komplett durchgespielt haben. Was im Nachhinein vielleicht nicht so schlau war, aber wir dachten nach dem ersten Tag, “uns kann eh nichts passieren”. Es gibt da noch eine andere Geschichte warum der zweite Tag schlechter war als der erste.

MUS: Hat sehr viel mit Dosenbier zu tun, oder? (Nicklas und Troll lachen)

Wetterich: War vielleicht nicht so geschickt. Da haben es einige etwas übertrieben und waren bis zum Finale noch nicht so ganz fit. Aber darauf kann man es nicht schieben. Die Bonner haben uns total überrascht. (zu Troll) Ich glaube ihr lagt 30-0 vorne, bis wir mitbekommen haben, dass wir auch mitspielen. Am Ende war es dann ausgeglichen bis zum Schnatzfang. Dass man so schnell so einen guten Schnatz fangen kann, hatten wir auch noch nicht gesehen.

Troll: Wir kannten den Christian (Zimpelmann) schon. Wir wussten, dass das irgendwie wichtig wird. Hat uns auch ein bisschen gerettet, glaube ich. Wir hatten auch schon Verletzte.

Wetterich: Und du durftest nicht mehr mitspielen.

MUS: Wieso?

Troll: Rote Karte. Zwei Mal “Tackle from Behind”. Chula (Bruggeling) war damals Head-Ref und ich war komplett überzeugt, dass es überhaupt nicht gerechtfertigt war. Wahrscheinlich war ich einfach von den Emotionen in dem Spiel überwältigt und etwas wild drauf. Das war auf jeden Fall krass, weil ich gemerkt habe, die meinen das wirklich ernst, dass man nicht mehr auf das Feld darf. (alle lachen)

MUS: Philipp, stimmt es, dass Freunde von dir den Schnatzfang im Finale gefilmt haben?

Wetterich: Ja, die waren danach der festen Überzeugung, dass sie auf Video haben, warum das nicht gilt, weil davor gepfiffen wurde. Aber das war nur der Torpfiff für das 60-60. Wir haben danach auch lange überlegt, ob wir das den Bonnern überhaupt zeigen, weil man den Fang viel zu gut gesehen hat. Das haben wir ihnen echt nicht gegönnt. Es hat ungefähr zwei Monate gedauert, wir waren echt gefrustet und konnten uns nicht vorstellen, dass wir mit den Bonnern jemals etwas zu tun haben werden. Aber dann hat man sich über das Nationalteam doch ganz gut vertragen. Einmal gemeinsam in Freiburg im Schlamm gesuhlt und dann war alles gut. Zu der Geschichte gehört ja auch, dass Sebi (Sebastian Elster) Martin Kleine die Nase gebrochen hat. 

Troll: Martin Kleine hat sich an Sebi die Nase gebrochen.

Wetterich: Ich glaube Martin wollte wechseln und Sebi hat einen Ball gesehen. Dann ist er wie ein Wilder über den ganzen Platz gesprintet, wie nur Sebi es kann. Dann hat Martin beschlossen, er nimmt den Ball doch wieder auf und sie sind zusammen gekracht. Danach war Martin kurz im Krankenwagen und die haben gemeint, “War die Nase schon immer so krumm?” Darauf meinte er, “hübsch war ich noch nie” und als es hieß, “da können wir nichts machen”, ist er wieder zurück ins Spiel. Der hatte dann noch ordentlich Frust im Bauch für das Finale. Da hat es dann nicht geholfen, wie es ausgegangen ist. Später war dann alles wieder gut und wir haben auch eingesehen, dass die anderen besser und motivierter waren.

Leander Troll und seine Freundin Motte Müller mit dem Pokal.© Stephan Elster

Leander Troll und seine Freundin Motte Müller mit dem Pokal.

© Stephan Elster

“Das Denken war damals noch sehr schwarz-weiß”

MUS: Wie sehr kanntet ihr euch denn schon? Seid ihr an dem Wochenende viel in Kontakt gewesen?

Nicklas: Ich glaube, bevor Passau und Bochum sich gehasst haben, haben sich Darmstadt und Passau gehasst.

Wetterich: Naja, wir haben euch nicht “gehasst”.

Nicklas: Passau hatte auf jeden Fall eine Beziehung zu Freiburg. Wir waren auch alle zusammen beim EQC (European Quidditch Cup) 2015. Als wir Darmstadt kennengelernt haben, waren wir etwas überrumpelt von eurer Professionalität. Und erschrocken von Jonas Zinn, weil er immer so geschrien hat. Wir haben damals einfach ein bisschen auf der Wiese gespielt. Die Darmstädter hatten schon alle einen Mundschutz. Es gab eigentlich keinen richtigen Grund warum wir euch nicht mochten. Aber von daher gab es dort kein richtiges Socializing. 

Troll: Lisa Tietze war eine der ersten Darmstädterinnen, die ich kennengelernt habe. Auch Lisa Struck und Nadine waren mal bei uns zu Besuch. Die kannte ich also schon.

Wetterich: Weil die Community und die Teams 2016 noch so neu waren, ist man eher unter sich geblieben und hat erstmal seine eigenen Mitspieler*innen kennengelernt, anstatt zu den anderen Teams zu gehen, die man eh entweder gehasst hat, wenn man gegen sie verloren hat oder Mitleid hatte, wenn man gegen sie gewonnen hat. (alle lachen) Das Denken war damals noch sehr schwarz-weiß.

MUS: Gab es kein Social beim Turnier?

Nicklas: Ich kann mich erinnern, dass wir Samstag Abend Pizza bestellt haben.

Wetterich: Ein bisschen Social gabs. Und Chris (Zimpelmann) hat mit ein paar Darmstädtern Dosenbier getrunken. Hat er ganz geschickt gemacht.

MUS: Das Turnier ist jetzt fünf Jahre her. Wie viele Personen von damals spielen denn immer noch in euren Teams?

Stille. Alle überlegen lange.

Troll: Bei uns sind es nicht mehr so viele, die tatsächlich noch aktiv sind. Wir waren damals 14 Personen. Davon sind vielleicht eine Hand voll übrig. 

Wetterich: Bei uns sind es drei. Nadine (Cyrannek), Steffen (Wirsching) und ich.

Nicklas: Auf unserer offiziellen Teamliste sind es sieben. Aber richtig aktiv nur Marco (Ziegaus), Lea (Meyer) und Chris (Häuser).

Christian Zimpelmann streckt sich vergeblich nach der Schnatzsocke. Einen Moment später beendet er jedoch das Finale mit dem erlösenden Catch zu Gunsten der Rheinos Bonn.© Van Klaveren Quidditch Photography

Christian Zimpelmann streckt sich vergeblich nach der Schnatzsocke. Einen Moment später beendet er jedoch das Finale mit dem erlösenden Catch zu Gunsten der Rheinos Bonn.

© Van Klaveren Quidditch Photography

“Das war der krasseste Quidditchmoment ever”

MUS: Quidditch in Deutschland hat sich seitdem sehr verändert. Abgesehen davon, dass es jetzt viel mehr Teams gibt, was sind die größten Unterschiede im Vergleich zur DM 2016?

Nicklas: Auf jeden Fall die Community. Wenn man es mit anderen Turnieren vergleicht, ist es ein ganz anderer Support untereinander. Auch wenn man gegeneinander spielt, ob auf deutschem oder internationalem Level. Man kennt viel mehr Leute und geht mehr aus seinem Team raus. Ich weiß noch, wie wir 2015 Witze über Felix (Linsmeier) gerissen haben, weil er immer zu anderen Teams gegangen ist und mit denen geredet hat. Er war immer der “aggressive socializer”. Das ist der große Punkt für mich, der sich geändert hat. Wir sind viel offener geworden. 

MUS: Was meint ihr, war der ausschlaggebende Punkt dafür?

Wetterich: Für uns war das der Moment, als wir in Gallipoli beim EQC 2016 das Spiel gegen Barcelona gewonnen haben. Da standen die anderen deutschen Teams am Seitenrand und haben für uns gejubelt. Für alle, die dort waren, wurde in diesem Moment die Quidditch-Community in Deutschland geboren. 

Troll: Weil wir nette Menschen sind, haben wir uns entschieden auch nett zueinander zu sein. Es hätte ja auch anders laufen können. Zum Beispiel hätte man die Rivalitäten mehr aufbauen können. Es ist aber cool, wie es jetzt gelaufen ist. Jetzt ist es ein Deutschland, dass sich unterstützt, wir alle unser Wissen teilen und uns gegenseitig zu Trainingslagern einladen.

MUS: Gibt es auch etwas, dass ihr rückblickend von der DM 2016 vermisst?

Troll: Bei uns war es nie wieder so emotional, etwas zu gewinnen. Das war der krasseste Quidditchmoment ever. Dieser Snitchcatch von Christian (Zimpelmann) 2016 im Finale war komplette Eskalation. Wir waren ein riesiger Schweinehaufen und konnten es überhaupt nicht glauben. Es war nie wieder so krass.

Das Video wurde netterweise von Philipp Wetterich bereitgestellt.

Wetterich: Für mich war es noch schön, dass 2016 zwei oder drei Schnätze aus Belgien und Frankreich in Darmstadt waren. Wir haben gar nicht kapiert, warum die so weit dafür reisen und was das für durchgeknallte Typen sind. Das haben wir auch nie wieder so toll gefunden, wie beim ersten Turnier.

Nicklas: Eine Sache, die ich total vermisse im Vergleich zu 2016: Turnierstart 13:00 Uhr.

Troll: Krass.

Wetterich: Stimmt, deswegen war es immer dunkel.

Nicklas: (zu Wetterich) Deswegen musst du dich auch nicht beschweren, dass ihr früher da sein musstet.

Wetterich: Aber wir standen die zwei Stunden ja schon draußen in der Kälte.

MUS: Gibt es zum Abschluss noch etwas, das über die DM 2016 unbedingt festgehalten werden muss?

Troll: Ich finde die Tübinger Besen müssen noch Credits bekommen. Die Tübinger Thestrale hatten so beklebte und selbstgemachte Besen. Das ist mir sehr in Erinnerung geblieben. Ich fand die Vielfalt total faszinierend. 

MUS: Die Thestrale haben auch den Preis für das beste Trikot gewonnen.

Nicklas: Genau, stimmt! Das fand ich auch cool.

Troll: Da fällt mir noch ein riesen Unterschied ein. Vielleicht wussten wir das damals nicht, aber ich habe bei dem Turnier kein Trikot getauscht.

Wetterich: Ich auch nicht. Ich glaube, wir sind erst in Gallipoli auf die Idee gekommen.

Nicklas: Gab es nicht auch so etwas wie MVPs? Also das die Coaches die wichtigsten Spieler*innen des Teams ernennen? 

Troll: Ja, es gab irgendwie sowas.

Wetterich: Es gab Awards. Das war noch so halb Fantasy Turnier, was das angeht.

MUS: Vielen Dank für eure Zeit!

Weitere Fotos des Turnier gibt es hier: Samstag, 23.01.2016 und Sonntag, 24.01.2016.

Alle Teilnehmer*innen der ersten Deutschen Quidditchmeisterschaft.© Van Klaveren Quidditch Photography

Alle Teilnehmer*innen der ersten Deutschen Quidditchmeisterschaft.

© Van Klaveren Quidditch Photography

Die Fragen stellte Max Martens


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