“Ein Sport für junge, wilde, agile Menschen, nicht für eingeschlafene Erwachsene!”
von Eva Ristau
Im Gegensatz zu vielen anderen unpopulären Sportarten ist Jugendarbeit im Jugger kein Fremdwort. Auch wenn der Großteil der Community aus jungen Erwachsenen besteht, haben einige Teams eine Kinder- oder Jugendabteilung. Mehr Verbreitung hat Jugger allerdings in der Jugendarbeit außerhalb der Sportvereine. Besonders Sozialpädagogen, Betreuer und immer mehr Lehrer schätzen Jugger sehr. Auch für Jugendfreizeiten oder Feriencamps wird der Sport immer beliebter.
Denis Kanzler von der Uni Leipzig hat sich für seine Masterarbeit im Studienfach gymnasiales Lehramt mit Jugger beschäftigt. Er erklärt in seiner Abschlussarbeit, aus der auch das Zitat der Überschrift kommt, die pädagogischen Chancen von Jugger: Jugger sei zum einen durch die Andersartigkeit des Sports ansich interessant für Kinder und Jugendliche. Zum anderen sei aber auch hier die Community einer der großen Faktoren. Jugger zieht junge, aktive und offene Menschen an, unabhängig vom biologischen Alter ist hier wenig Raum für angestaubte Erwachsene.
Der sportlich-kämpferische Aspekt an Jugger, die Gemeinschaft im Team und die Notwendigkeit von Eigenschaften wie Fairness und Selbstdisziplin geben Kindern und Jugendlichen viele Ansatzpunkte zu Weiterentwicklung, Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis. Jugger zieht auch Menschen an, die sich sonst mit anderen Sportarten eher nicht so sehr identifizieren können - egal in welcher Altersstufe.
Im Indiwi e.V. in Berlin wird beispielsweise schon seit vier Jahren Jugger gespielt. Hier wird Inklusion als sozialer Prozess gelebt. Jugger hat sich dabei als sehr nützliches Mittel erwiesen. Es ist leicht erlernbar, fördert Gemeinschaftssinn, Fairness, Ehrlichkeit und Vertrauen genauso wie Bewegung, Selbstvertrauen und Körpergefühl - Werte, die beim Sport deutlich leichter zu erlernen sind als beispielsweise im Schulunterricht.
“Jugger ist für die Jugendarbeit interessant, weil diese Sportart so viele Spielerrollen erlaubt. Jedes Kind und jeder Jugendliche kann dort seine Rolle finden. Das macht die Sportart auch im inklusiven Jugendbereich so interessant,” erklärt Volker Kohle vom Indiwi e.V.
Beim Jugger gewinnt nicht, wer am dollsten draufhauen kann, sondern wer gut im Team zusammenarbeitet und kommuniziert. “Sie [die Schüler] lernen da viel soziale Zusammenarbeit, Kommunikation im Team und aufeinander zu achten,” so Dominik Hillebrandt, der Jugger unter anderem als Übung zur Gewaltprävention an Schulen anbietet.
Reine Kinder- oder Jugendturniere sind im Jugger allerdings nach wie vor eher eine Seltenheit. So gab es 2019 deutschlandweit nur drei auf offiziellem Wege ausgeschriebene Turniere für Kinder und Jugendliche. Im Erwachsenenbereich wurden im Vergleich dazu über 40 Turniere abgehalten. Eher werden Freundschaftsspiele oder kleinere Spieltage veranstaltet, wo dann zusätzlich zum eigenen Team noch gegen ein oder zwei andere Mannschaften der Region gespielt oder gemeinsam trainiert wird.
Ein großes Highlight gibt es allerdings jährlich für den Jugger-Nachwuchs: Seit 2014 wird jährlich die Deutsche Kinder- und Jugendmeisterschaft (DKJM) abgehalten, eins der wenigen Turniere ausschließlich für Kinder- und Jugendteams. Ausgerichtet wird die DKJM meistens in Zusammenarbeit von Jugendarbeit und erfahrenen Teams aus dem Erwachsenen-Jugger. Der Austragungsort wechselt von Jahr zu Jahr. 2019 wurde die DKJM beispielsweise in Berlin ausgetragen, organisiert vom Indiwi e.V., der Turngemeinde in Berlin und dem Jugger e.V. Das Team Out of Order vom VfL Rethwisch wurde 2019 Jugendmeister, im Bereich der Kinder hat sich Mikado Nürnberg durchgesetzt.
Dieses Jahr hätte die DKJM in Nürnberg stattfinden sollen, musste dann aber leider coronabedingt ausfallen. Es hätten 16 Kinder- und 24 Jugendmannschaften teilnehmen sollen.
Nach aktuellem Planungsstand soll das Turnier 2021 in Grundhof bei Flensburg (Schleswig-Holstein) mit Unterstützung des VfL Rethwisch stattfinden. Aufgrund der langen Anreise für die meisten Teams aus deutlich südlicheren Teilen Deutschlands ist hier allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Im Gegensatz zu Jugger für Erwachsene, wo der Schwerpunkt an kompetitiven, sportlich motivierten Teams und Turnieren klar in Mittel- und Norddeutschland zu finden ist, gibt es besonders in Süddeutschland zahlreiche Jugend- und Kinderteams. Im Norden sind dezidierte Jugendteams allerdings eher Ausnahme als Regel.
Ruben Wickenhäuser, Autor verschiedener Bücher zum pädagogischen Wert von Jugger, Urgestein des Sports und Jugendtrainer der Schädeljäger Erlangen, erklärt sich das durch die unterschiedliche Entwicklungsgeschichte des Sports: “Im Norden hat Jugger mit LARP einen deutlich erwachseneren Hintergrund, während es im Süden eher als Sport ‘importiert’ wurde. Dadurch ist Jugger hier deutlich weniger erwachsen besetzt, was es besonders für Sozialarbeit interessant macht.”
Der hohe Anteil der Jugendarbeit fernab von Sportvereinen führt dazu, dass viele Teams eher ‘unsichtbar’ und unter sich bleiben. Auch die Vernetzung ist hier wenn überhaupt vorhanden deutlich lokaler als im Erwachsenen-Jugger. Besonders Kontakte zwischen den sportlich motivierten Jugendabteilungen bestehender Juggerteams und den pädagogisch ausgerichteten Jugendgruppen außerhalb der Sportvereinsstrukturen finden eher weniger statt. Intern sind beide Untergruppen der Jugger-Jugendarbeit allerdings durchaus gut miteinander vernetzt.
Auf sportlicher Ebene ist Jugendarbeit natürlich wichtig, um den Nachwuchs fürs eigene Team zu sichern. Sie kann aber auch eine sehr erfüllende Tätigkeit sein. “Zum einen macht mir die Arbeit mit dem Jugendteam einfach Spaß, zum anderen ist es aber natürlich auch toll, die Fortschritte zu beobachten und zu sehen, wie die Kinder immer selbstständiger werden,” kommentierte Daniel Beth, Jugendtrainer der Wütenden Tintenfische Kiel.
Jugendteams sind in Norddeutschland im Jugger Mangelware. Deshalb ist es hier üblich, dass die Kinder und Jugendlichen entweder schon relativ früh bei den Erwachsenen im Team mitspielen oder zwar als geschlossenes Jugendteam, aber trotzdem auf den Turnieren der Erwachsenen antreten.
“Wir haben damit großteils sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Kinder werden als Teil der Community gesehen und die Erwachsenen haben Spaß daran, mit ihnen Jugger zu spielen. Besonders bei den jüngeren wird auch viel Rücksicht genommen und entsprechend vorsichtiger gespielt, damit niemand zu Schaden kommt,” betont Daniel Beth. “Manchmal kann die Stimmung kippen, wenn die Kinder plötzlich besser spielen, als die Erwachsenen - das ist dann natürlich ein absolutes No-Go und man muss als Trainer entsprechend eingreifen, das kommt aber wirklich selten vor.”