Roundnet-Regeln: Geht Deutschland jetzt eigene Wege?

 

von Hannah Wolff

No-Hit Zone: So nah am Netz dürfen Top-Spieler*innen bei SRA-Turnieren künftig nicht mehr stehen. Foto: Julian Meusel (Indoor Masters 2020)

No-Hit Zone: So nah am Netz dürfen Top-Spieler*innen bei SRA-Turnieren künftig nicht mehr stehen.
Foto: Julian Meusel (Indoor Masters 2020)


Vergangene Woche hat die  Spikeball Roundnet Association (SRA) ein neues Regelwerk für die Saison 2021 veröffentlicht. Die wohl kontroverseste Änderung ist die Einführung einer sogenannten No-Hit Zone. Diese Zone besteht aus einem Kreis von 45 Zentimetern (genau: 1,5 Fuß) um den Rand des Netzes herum. Der letzte Schlag des angreifenden Teams muss außerhalb dieser Zone erfolgen. Damit soll verhindert werden, dass Bälle direkt am Netz geschlagen werden. Aber auch der neu erlaubte Double Touch wird das Spiel verändern. In der Verteidigung darf eine Person demnach den Ball nach einem Block nun ein weiteres Mal berühren. Einige weitere kleine Änderungen betreffen zum Beispiel die Entfernung der Aufschlaglinie oder die Definition einer Pocket.

Das große Ziel der Regeländerungen der SRA ist es, die Verteidigung zu stärken und den Angriff zu schwächen. Es ist lange kein Geheimnis mehr, dass Roundnet ein sehr angriffslastiger Sport ist. Die Defensive ist dem Angriff stark unterlegen, weil Bälle bisher sehr flach in alle Richtungen geschlagen werden können. Das führt dazu, dass Spiele auf hohem Niveau für das Publikum langweilig sind. Es entstehen häufig keine Ballwechsel mehr. Die neuen Regeln haben somit auch das Ziel, den Sport für Zuschauer*innen attraktiver zu machen. “Indem die angreifende Person weiter vom Netz entfernt steht, werden die Winkel für sie schwieriger und der Ball wird für die Verteidigung besser lesbar. Das führt zu mehr defensiven Ballberührungen und somit zu mehr Ballwechseln”, begründet die SRA die Einführung der No-Hit Zone. Nach der alten Regel konnte ein Ball direkt über das Netz gestellt werden und somit in alle Richtungen vom Netz gespielt werden. Erfolgt der finale Schlag von weiter weg, ist nur noch eine begrenzte Zahl von Spielrichtungen möglich und die Defensive kann sich entsprechend positionieren. Zusätzlich führe die Stärkung der Verteidigung zu weniger Doppelfehlern beim Aufschlag, denn die Defensive sei nun auch eine Option, um Punkte zu erzielen - so die Argumentation der SRA.  

No-Hit Zone gilt nicht in Deutschland

In Deutschland werden die neuen Regeln zunächst aber nicht gelten. Der deutsche Verband (Roundnet Germany) kritisiert, dass die No-Hit-Zone nur für Wettbewerbe auf Top-Niveau gelten solle. Unterklassige Wettbewerbe sollen, was die No-Hit-Zone angeht, weiterhin nach den alten Regeln gespielt werden. Auch Roundnet Germany sieht das grundsätzliche Problem: Der Angriff ist gegenüber der Verteidigung momentan zu stark. Das Thema sei zwar in Europa noch nicht so gravierend wie in Nordamerika, wo der Sport schon weiter entwickelt ist. Dennoch sei es auf höherem Niveau auch hier für die Verteidigung nahezu unmöglich alle Bereiche abzudecken. “Auf lange Sicht müssen hier Änderungen geschehen, wenn die Sportart weiterhin attraktiv bleiben will”, erklärt Philipp Kessel, Referent für Marketing und Kommunikation von Roundnet Germany. 

Nichtsdestotrotz steht der deutsche Verband der Einführung der No-Hit Zone für das Top-Niveau kritisch gegenüber. “Wenn eine Regel nicht geeignet ist, um allgemeingültig zu sein, sollte man Sie aus unserer Sicht nicht anwenden”, schreibt er im offiziellen Statement zu den Regeländerungen der SRA. Dabei weist Roundnet Germany darauf hin, dass durch die grundlegende Änderung des Spiels für nur eine kleine Gruppe an Spieler*innen ein gemeinsames, einheitliches Training aller nicht mehr möglich sei. Die besten Spieler*innen würden mit der No-Hit-Zone spielen und trainieren, während die weniger guten Spieler*innen ohne diese Regeländerung spielen und trainieren würden. Philipp Kessel befürchtet deshalb eine Spaltung der Community. Zudem erfordere die Regel mehr Equipment und erhöhe somit die Eintrittshürde, gibt er zu bedenken. Der Einwand scheint berechtigt. Schließlich ist Roundnet auch deshalb so attraktiv, weil ein Netz einfach transportiert und innerhalb weniger Minuten aufgebaut werden kann. 

Droht eine Spaltung des Sports? 

Roundnet Germany hat sich aus diesen Gründen entschieden, die neuen Regeln der SRA nicht zu übernehmen und vorerst weiter nach den alten Regeln zu spielen. Aus Sicht von Roundnet Germany sind die Regeländerungen der SRA zudem auch gar nicht maßgeblich. Der deutsche Verband erkennt die SRA nicht als Regelhüter an, weil diese ein kommerzielles Unternehmen ist, das an Profit orientiert ist. Die SRA ist ein Ableger der Firma Spikeball, einem Produzenten von Roundnet-Equipment. In den vergangenen Jahren agierte sie als “Quasi-Weltverband”. So wurde bislang weltweit nach ihren Regeln gespielt. Inzwischen wurde aber der Weltverband International Roundnet Federation (IRF) gegründet. Dieser müsse die Regeln nun unabhängig von Produktherstellern festlegen, erklärt Kessel. Daraus folgt zumindest für den Moment, dass die neuen Regeln erstmal nur für die Turnierserie der SRA gelten. Roundnet Germany ist zu diesem Thema bereits an den Weltverband IRF herangetreten und setzt sich dafür ein, dass Regeländerungen durch die Mitgliederversammlung aller Mitgliedsnationen getroffen werden.

Eine Zersplitterung des Sports mit verschiedenen Regelwerken hält Kessel nicht für wahrscheinlich, auch wenn die Gefahr natürlich da sei. Letztendlich könne ja jeder Verband in jeder Sportart eigene Regeln aufstellen. In den meisten Sportarten gäbe es jedoch einen Konsens und der müsse in der jungen Sportart Roundnet eben noch gefunden werden. “Dafür ist es wichtig, dass der Weltverband sich in den nächsten Jahren positioniert und die Regeln vorgibt”, betont Kessel. Sollte es dort jedoch zu keiner Einigung kommen, schließt Roundnet Germany einen deutschen Sonderweg nicht aus. 

“Vielleicht gibt es bessere Alternativen”

Dem Thema der unterlegenen Defensive wird man allerdings auch in der IRF nicht aus dem Weg gehen können. In den vergangenen Jahren gab es dazu viele Lösungsansätze. So forderte zum Beispiel Elite-Spieler Preston Bies 2020 in einem MUS-Interview, das Spielnetz zu erhöhen. Eine andere Idee ist die Erhöhung der Ränder bei gleichbleibender Netzhöhe. So können die Bälle nicht mehr flach rausgespielt werden und die Defensive hat mehr Zeit zu reagieren. In den USA gibt es zudem erste, vielversprechende Tests mit einem größeren Ball. Welche Lösung oder welche Kombination von Lösungen sich letztendlich durchsetzt, steht noch in den Sternen. Nur eins scheint sicher: Komplett unterschiedliche Regelwerke in verschiedenen Ländern würden den Sport in seiner Entwicklung extrem zurückwerfen.


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