Abenteuer Sport: Einmal illegal ins türkische Krankenhaus und zurück

 

von Daniel Knoke

SPORTGESCHICHTE_DANIEL_KLEIN.jpg

Die Welt des unpopulären Sports ist voll von lustigen Anekdoten und unglaublichen Geschichten. Es ist eben nicht alles perfekt organisiert und durchgeplant – wie es bei im Profisport zum Beispiel der Fall ist. In Sportarten wie Kin-Ball oder Einradhockey geht öfter mal etwas schief. Der Zufall regiert für einen kurzen Zeitraum und es muss improvisiert werden. Gerade das macht auch den Charme dieser Sportarten aus.

So gut wie jede Person, die im unpopulären Sport aktiv ist, kann sicherlich eine solche Anekdote erzählen. Christian Böhnke (Deutsche Meister im Padel) hat zum Beispiel im MUS-Podcast „OhrenMUS“ von einer denkwürdigen Weltmeisterschaft in Paraguay erzählt. Dort konnte er wegen Schüssen vor dem Hotel nicht schlafen und außerdem lag er wegen einer Krankheit ungeplant im Krankenhaus.

Wer will sie nicht gerne lesen, genau solche Kuriositäten des unpopulären Sports. MUS sammelt deshalb künftig in der Rubrik „Abenteuer Sport“ eben solche Geschichten. Wer eine kuriose Geschichte aus seinem Sport zu erzählen hat, kann sich jederzeit per Mail an story@musmagazin.dewenden. Den Auftakt macht MUS-Chefredakteur Daniel mit seiner Quidditch-Geschichte über eine Platzwunde in der Türkei.


Quidditch ist ein Vollkontaktsport. Es wird getackelt, geblockt und generell mit vollem Körpereinsatz gespielt. Verletzungen gehören deshalb leider fast schon zum Alltag. Das habe ich schon in meinem allerersten Training gemerkt. Dort wurde mir bei einem Tackelversuch die Nase gebrochen. Allein das ist schon eine Geschichte für sich, die aber schnell recht deprimierend wird – zumindest aus medizinischer Sicht. Am Ende gab es vier verschiedene Diagnosen von vier verschiedenen Ärzten. Ich konnte mir quasi aussuchen, ob meine Nase gebrochen, angebrochen oder völlig unbeschadet ist.

Deshalb gehe ich hier auf diese Episode meines Sportlerlebens gar nicht näher ein, sondern erzähle euch stattdessen eine andere Verletzungsgeschichte aus meiner Quidditch-Karriere. Diese Geschichte bietet viel mehr Drama, ist reich an Irrungen und Wirrungen und spart auch nicht mir kuriosen Wendungen.

Schauplatz dieser Anekdote ist die Türkei. Quidditch ist in der Türkei eine große Sache. Einige der besten europäischen Teams kommen aus der Türkei. Jedes Jahr im Januar veranstaltet die türkische Quidditch-Community außerdem ein internationales Turnier auf höchstem Niveau, das meistens erstklassig besetzt ist. Es reisen oft Teams aus Norwegen, Österreich oder Deutschland an.

Mit einem dieser deutschen Teams nahm ich vor einigen Jahren an diesem besagten Turnier teil. Gleich beim zweiten Spiel meines Teams war ich in ein Gerangel am Boden um einen Ball verwickelt. Letztlich konnte ich den Ball für unser Team sichern, bekam dabei aber einen Ellenbogen mit voller Wucht an den Kopf. Diesen Schlag bemerkte ich im ersten Moment aber gar nicht.

Ich spielte also munter weiter, warf noch einen Pass und nahm zunächst weiter am Spielgeschehen teil. Dann hielt ich inne, weil etwas auf meinen Kopf getropft war. Kurz war ich verwirrt. „Es kann doch gar nicht regnen. Es ist wunderbares türkisches Sommer-Wetter im Januar. Es ist keine Wolke am Himmel.“ Das waren in etwa meine Gedanken in diesem Moment. Verwirrt blieb ich stehen.

Plötzlich wurden mir zwei Dinge gleichzeitig bewusst. Erstens: Die Tropfen waren von roter Farbe. Zweitens: Es tropfte nicht auf meinen Kopf, sondern aus meinen Kopf. Ich blutete. Offenbar hatte ich eine Platzwunde erlitten.

Deren Ausmaß war mir aber gar nicht sofort bewusst. Ich bat den Schiedsrichter also nicht das Spiel anzuhalten, damit ich versorgt werden konnte, sondern ich trabte gemütlich zur Außenlinie, um mich ganz regulär auswechseln zu lassen.

An der Seitenlinie angekommen betrachteten mich meine Teammitglieder etwas komisch. „Daniel geh mal lieber zu den Sanitätern, du blutest ziemlich stark“, hieß es dann. Ich fand das übertrieben. Ein Pflaster und die Sache wäre geregelt – dachte ich. Ein Sanitäter war nicht gleich zur Stelle (unpopulärer Sport eben), aber dafür eine Teamkollegin, die im Krankenhaus arbeitete. Das musste als „professionelle“ Meinung genügen. Ich solle die Wunde erstmal auswaschen, sagte mir die Teamkollegin und so begab ich mich widerwillig nicht zum Krankenwagen – sondern zu einer Toilette.

Ich wollte das Blut tatsächlich einfach abwaschen. Dumm nur, dass da immer mehr Blut kam und ich meinem Spiegelbild am Waschbecken der Toilette eingestehen musste, dass ein Pflaster wohl nicht reicht. Jetzt nahm das Drama seinen Lauf.

Denn zufällig traf ich auf dem Klo einen türkischen Spieler, der meine Bemühungen sah und meint ich solle mit ihm kommen. Sein Teamkollege sei Medizin-Student. Gesagt getan. Der türkische Quidditch-Spieler war eigentlich grad in der Vorbereitung auf das eigene Spiel, kümmerte sich aber sofort um mich. Ich legte mich auf den Rasen und das erste was er sagte, ließ mich dann doch kurz erschaudern: „Es ist wohl doch um einiges schlimmer als du denkst“. Na toll. Ich verabschiedete mich von dem Gedanken für das laufende Spiel noch aufs Spielfeld zurückzukehren …

Schnell bildete sich eine kleine Traube aus Neugierigen um uns herum. Und ebenso schnell waren die ersten Witze da. „Ist das ein Stück Gehirn, was da aus deinem Kopf kommt“, fragte ein Witzbold. Ich nahm ihm das nicht übel, weil ich genau wusste, dass ich solche Scherze selbst in so einer Situation auch machen würde. Aber ich war doch leicht beunruhigt. Schließlich gab es ein großes Problem: Ich hatte keine Auslandskrankenversicherung, die außerhalb der EU gelten würde.

Das wurde mir schrecklich bewusst, als der quidditchspielende Medizinstudent, der mich gerade auf einer Wiese „behandelte“ zu mir sagte: „Du musst ins Krankenhaus. Das muss genäht werden.“ Meine erste Reaktion war nicht von medizinischen Sorgen, sondern von finanziellen Sorgen geprägt: „Keine Chance. Ohne Versicherung kostet das locker 3000 Euro. Das mache ich nicht.“ So in etwa waren meine ersten Gedanken.

Das teilte ich dann auch meinen türkischen Gastgebern mit, die mich daraufhin anflehten doch wenigsten zu den Sanitätern im bereitstehenden Krankenwagen zu gehen und deren Meinung einzuholen. Dazu ließ ich mich breitschlagen. Nur um mir von den Sanitätern anzuhören, dass ich auf jeden Fall ins Krankenhaus müsse.

Nun war guter Rat teuer. Doch eine Quidditchspielerin des gastgebenden Teams aus Ankara zeigte mir einen Lösungsweg auf. „Meine Mutter arbeitet im Krankenhaus. Wir bekommen dich da rein. Ohne Kosten“, versprach sie mir. Ich war verständlicherweise skeptisch, aber ehrlicherweise hatte ich keine vielversprechende Alternative.

Also nahm ich nicht den offiziellen Weg ins Krankenhaus mit dem bereitstehenden Krankenwagen, sondern den inoffiziellen mit dem Auto der Quidditch-Mutter. In dem Privatwagen wurde ich zu einem Hintereingang kutschiert. Dort musste ich dann 5 Minuten in einem Hinterhof warten, was einigermaßen skurril war. Ich hatte schließlich noch meine Sportsachen, inklusive Stollenschuhe an und fühlte mich dementsprechend fehl am Platz.

Nach der kurzen Wartezeit wurde ich dann durch den Hintereingang in das Krankenhaus geschmuggelt. An den wachsamen Augen zweier Polizisten vorbei und ohne irgendwo meinen Namen oder sonstwas zu sagen. Hier hat vermutlich jemand einige Gefallen eingefordert. Ich wusste es in dem Moment nicht und habe es auch nie erfahren. Vielleicht haben die türkischen Ärzte auch einfach Mitleid mit dem naiven Deutschen ohne Versicherung gehabt – ich weiß es nicht.

Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: Verband und Headband in einem! (Foto: Unicorns Quidditch Photography)

Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: Verband und Headband in einem!
(Foto: Unicorns Quidditch Photography)

Was ich jedoch wusste, war die Tatsache, dass ich in einen Pausenraum geführt wurde. In diesem Zimmer genossen einige Ärzte ihre freien Minuten und einer von ihnen nähte mir dort höchst inoffiziell meinen Kopf wieder zusammen. Das alles war zwar improvisiert, aber mit 100 Prozent Professionalität.

Ich drückte den Ärzten tausendmal meinen Dank aus und verließ das Krankenhaus dann genau so wie ich gekommen war: durch einen Hinterausgang für das Personal. Dann ging es zurück in das Auto der Quidditch-Mutter und nach einem kurzen Stopp beim Supermarkt für den Familieneinkauf (ich habe einfach im Auto gewartet) waren wir dann wieder auf dem Sportgelände.

Nun galt es nur noch eine Frage zu klären. Ich machte mir diesbezüglich keine großen Hoffnungen, wollte aber trotzdem nachfragen. „Meinen Sie ich darf jetzt wieder spielen“, fragte ich die Quidditch-Mutter. „Ja, der Arzt hat gesagt, du darfst wieder Sport machen, sollst aber ein bisschen auf den Kopf aufpassen“. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Zwar bezweifelte ich, dass mit Sport ein Vollkontakt-Sport wie Quidditch gemeint war, aber ich lebte in diesem Moment nach dem Motto „Wer nicht fragt, kann auch keine negative Antwort bekommen.“ Kurze Zeit später erklärte ich meinen Teamkollegen, dass ich grad illegal in einem türkischen Krankenhaus war und nun aber bereit wäre für das nächste Spiel. Und siehe da: Ich stand auch bald wieder auf dem Platz. Nur auf Tackles und Bodengerangel verzichtete ich in den restlichen Spielen.


Wenn dir der Artikel gefallen hat und du uns gerne unterstützen möchtest, dann kannst du das auf  Patreon  oder PayPal tun. Wenn du wissen willst, wofür wir deine Unterstützung brauchen, dann schau bei uns im  Fanclub vorbei!