Hurling: Irischer Nationalsport trotzt englischer Besatzung
von Hannah Wolff
Hurling-ähnlich Spiele mit Stock und Ball werden in Irland bereits seit über 3000 Jahren gespielt. Über die Ursprünge und die Variante des frühen Spiels ist heute wenig bekannt. Fest steht jedoch, dass der Sport in Irland spätestens ab dem frühen Mittelalter von großer Bedeutung war. So sahen die Brehon Laws, die irischen Gesetze vor der englischen Besetzung im Jahre 1169, zum Beispiel eine Entschädigung für Verletzungen vor, die sich während eines Hurling-Spiels ergaben. Ferner war es explizit gesetzlich verboten, jemanden mit einem Hurling-Schläger zu schlagen.
Mit der Invasion der Engländer im 12. Jahrhundert gab es mehrere Versuche Hurling zu verbieten. Doch das Spiel blieb den Iren zum Leidwesen der englischen Besatzer erhalten. Im Norden und im Süden Irlands betrieben die Menschen verschiedene Varianten des Sports. Die Nordiren waren vor allem im Winter sportlich aktiv und spielten mit vergleichsweise dünnen Schlägern, sowie einem Holzball. Im Gegensatz dazu, spielten die Menschen in Südirland im Sommer und mit breiteren Schlägern. Ihr Ball war nicht aus Holz gefertigt, sondern bestand aus Tierhaaren.
Im 18. Jahrhundert erreichte Hurling einen ersten Höhepunkt in seiner Verbreitung. Während die Nordvariante ein Spiel der gewöhnlichen Leute blieb, wuchs der Sport im Süden Irlands ironischerweise durch das Einwirken des grundbesitzenden englischen Adels. Sie wählten aus den Ortsansässigen eigene Teams aus, um mit Wetteinsatz gegen andere Grundbesitzer anzutreten. Bis zu 10.000 schaulustige Menschen verfolgten diese Wettbewerbe.
Doch diese Popularität sollte nicht lange andauern. 1798 kam es zu großen Aufständen der irischen Bauernfamilien gegen die englischen Besatzer, welche jedoch nicht den Act of Union 1801 verhindern konnten. Irland war nun Teil des Vereinigten Königreichs. Das Verhältnis zwischen den Grundbesitzern und den ortsansässigen Iren blieb davon nicht unberührt. Der englische Adel unterstützte Hurling nicht länger und die große Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts tat ihr übriges. Hurling drohte auszusterben.
Erst die Initiative von Michael Cusack, einem Lehrer aus Dublin, brachte die Kehrtwende. Cusack interessierte sich einerseits für die Wiederbelebung der irischen Kultur und war andererseits begeisterter Sportler. Ab den 1870er Jahren kritisierte er, dass auf sportliche Veranstaltungen nur englische Sportarten betrieben wurden und diese lediglich für die höheren Schichten offen waren. Wenige Jahre später präsentierte er im Irish Sportsman, der damals führenden Sportzeitschrift, die Idee eines gesamtirischen Sportverbandes. Im Sommer 1884 war dann so weit: Mit einigen Mitstreitern gründete Cusack die Gaelic Athletic Association (GAA).
In den Folgejahren lag der Fokus darauf, ein einheitliches Regelwerk für Hurling (und Gaelic Football) auszuarbeiten und die Sportarten bekannter zu machen. Als Kind des Südens formulierte Cusack die Regeln auf Basis der Südvariante von Hurling, die er aus seiner Jugend kannte. Der Sport wurde deshalb im Norden Irlands vergleichsweise wenig angenommen.
Die GAA hatte dennoch Erfolg. Im nationalistischen Irland breiteten sich die originär irischen Spiele in den folgenden Jahren immer weiter aus. Cusack selbst war jedoch nur in der Anfangsphase richtungsweisend. Es kam schnell zu Kritik an seinem Führungsstil, sodass er sich nach und nach aus den offiziellen Posten der GAA zurückzog.
Einen Platz für Frauen gab es zu dieser Zeit nicht im Hurling der GAA. Dennoch trugen Frauen vereinzelt Hurling-Spiele gegeneinander aus. 1903 begann der Frauensport sich zu organisieren. Die Dublinerin Máire Ní Chinnéide entwickelt ein Hurling-Regelwerk, welches aus damaliger Sicht für Frauen geeigneter war. Neben einem kleineren Spielfeld wurden auch ein leichterer Ball und kürzere Schläger verwendet. Diesen Schlägern verdankt der Frauensport seinen Namen. Die Verniedlichungsform des Männerschlägers camán lautet camóg, was zu der Sportbezeichnung Camogie führte.
Der Sport verbreitete sich schnell, sodass schon zwei Jahre später die Camogie Association gegründet wurde. Ní Chinnéide diente als erste Präsidentin. Doch die Frauen, die Camogie spielten, wurden oftmals in der Öffentlichkeit verspottet. So war es nicht ungewöhnlich, dass sie die Schläger unter ihrem Mantel versteckten, wenn sie zu Spielen anreisten. Insgesamt blieb organisierter Sport für Frauen Anfang des 20. Jahrhundert auch in Irland eine Randerscheinung. Trotz Camogie sollte es noch einige Jahrzehnte dauern, bis ein bedeutendes Wachstum im Frauensport stattfand.
Bis heute liegt das Epizentrum des Schlägerspiels in Südirland. Die Gaelic Games, zu denen auch Hurling und Camogie gehören, sind Irlands beliebtester Sport. Sogar noch vor Fußball und Rugby. Wie im 18. Jahrhundert verfolgen auch heute tausende Menschen die Spiele live. Die Stadien fassen heute bis zu 80.000 Zuschauer*innen. Im “Croke Park”-Stadion in Dublin dürfen sogar nur gälische Spiele ausgetragen werden. Andere Sportarten wie Fußball oder Rugby haben hier keinen Platz.
Außerhalb von Irland sind Hurling und Camogie absolute Nischensportarten. Sie werden zwar inzwischen auf allen Kontinenten gespielt, jedoch ist und bleibt Irland die Hochburg des Spiels. Wie populär der Sport in Irland im Vergleich zum Rest der Welt ist, zeigt ein kleines Zahlenspiel: Es leben nur 0,06 Prozent der Weltbevölkerung in Irland. Trotzdem vereint das Land 80 Prozent der weltweiten GAA-Clubs auf sich. Außerhalb von Irland sind Hurling und Camogie also definitiv als unpopuläre Sportarten einzuordnen.