Wie man einen Schwarm Delfine organisiert

 

Dieser Text ist Teil der Artikelreihe “Gründungsgeneration”. Dort sprechen wir mit Menschen, die von Anfang an Teil ihres Sports sind und diesen mit aufgebaut haben. Weitere Artikel dazu findest du hier: Gründungsgeneration.


von Max Martens

Das deutsche Frauen-Nationalteam im Unterwasser-Hockey. Daniela Steidl steht in der Mitte mit der Nummer 6, Sabina Hillebrandt ist die zweite von links mit der Nummer 10.© Herbert Frei, VDST

Das deutsche Frauen-Nationalteam im Unterwasser-Hockey. Daniela Steidl steht in der Mitte mit der Nummer 6, Sabina Hillebrandt ist die zweite von links mit der Nummer 10.

© Herbert Frei, VDST


Am Anfang war es pure Neugierde. Die Sportart, die Sabina Hillebrandt während ihres Erasmus-Semesters im englischen York entdeckte, nannte sich “Octopush”. “Ich konnte mir überhaupt nichts darunter vorstellen”, berichtet sie im Gespräch. Doch sollte sie dieser Sport die nächsten acht Jahre ihres Lebens begleiten. Was Hillebrandt, die bereits begeisterte Schnorchlerin war, dort im Uni-Sport lieben lernte, nennt sich hierzulande Unterwasser-Hockey (UWH) und wird aktuell an sechs Standorten gespielt: Weinheim, München, Berlin, Elmshorn, Leipzig und Hannover. Dass es überhaupt dazu kam, liegt auch zum großen Teil an Hillebrandt. 

Als sie 2013 zurück nach Heidelberg kam, war die Unterwasser-Hockey-Landschaft in Deutschland noch sehr spärlich besiedelt. Zusammen mit ihrem Partner Conrad Wagner gründete Hillebrandt ein Team, das kurz darauf dem Verein TCO Weinheim beitrat. 

Ansonsten gab es zu diesem Zeitpunkt nur in Elmshorn und München Bestrebungen UWH zu spielen. In München gab es sogar schon zwei Teams, die demselben Verein angehörten. Eine der Spielerinnen dort war Daniela Steidl, die ebenfalls genannt werden muss, wenn man über die deutsche Geschichte des Unterwasser-Hockey berichtet.


Warum Unterwasser-Hockey auch “Octopush” genannt wird, erfährst du in diesem Artikel: Woher kommt eigentlich Unterwasser-Hockey?


Wie Hillebrandt lernte auch Steidl den Sport während eines Auslandssemesters kennen. Nachdem sie 2010 aus den USA wieder kam, entdeckte sie, dass es Hockey, wie die Spielenden es schlicht nennen, auch an ihrer Uni in München angeboten wurde. Aus diesem Kurs entwickelte sich daraufhin ein Unterwasserhockey-Verein: Munich Marlins. Bei einem weiteren USA-Aufenthalt war Steidl sogar Mitglied des National-Development-Teams und erlebte hautnah mit, auf welchem Level Hockey gespielt werden kann. Da erinnern die Spielenden unter Wasser regelrecht an echte Meeresbewohner. “Es ist gigantisch, wenn ein Schwarm Delfine unter Wasser auf einer erstmal mysteriös ausschauenden Weise eine krasse Choreografie hinlegt”, erzählt Steidl begeistert. Um weiterhin auf diesem Niveau spielen zu können, entschied sich Steidl den Sport zu Hause voranzutreiben.

Daniela Steidl mit der Nummer 6 auf dem Arm am Puk für das deutsche Nationalteam. Das C darunter steht für Captain. Dieses Amt hat inzwischen Sabina Hillebrandt übernommen.© SpainUWH

Daniela Steidl mit der Nummer 6 auf dem Arm am Puk für das deutsche Nationalteam. Das C darunter steht für Captain. Dieses Amt hat inzwischen Sabina Hillebrandt übernommen.

© SpainUWH

Detaillierter für UWH arbeiten als für die eigene Doktorarbeit

Ein wichtiger Schritt war es, Teil eines übergeordneten Dachverbands zu werden. Denn um an den Weltmeisterschaften des Weltverbandes “Confédération Mondiale des Activités Subaquatiques” (CMAS) teilzunehmen, brauchen die Spielerinnen und Spieler Lizenzen, die sie nur über einen nationalen Verband bekommen, der seinerseits Teil der CMAS ist. In Deutschland ist das der Verband Deutscher Sporttaucher (VDST). Mit knapp 84.000 Mitgliedern zählt der VDST zu den größten Non-Profit-Tauchorganisationen der Welt. Da ist es verständlich, dass die kleine Unterwasser-Hockey-Fraktion den Kontakt suchte. Der VDST ist in Leistungssport, Wettkampfsport und Breitensport unterteilt. Auf Grund des Entwicklungsstatus gilt UWH im VDST “nur” als Wettkampfsport und nicht als Leistungssport und wird deshalb als Referat und nicht als Sparte geführt. Ab 2015 übernahm Daniela Steidl die Verbandsarbeit und widmete sich fortan dem Aus- und Aufbau des Referats. In dieser Zeit entstanden weitere UWH-Vereine in Deutschland, was einerseits natürlich sehr positiv für den Sport war, andererseits aber auch mehr Arbeit für Steidl bedeutete. Da sie zeitgleich Kapitänin des Frauen-Nationalteams war, war sie zwei Jahre lang ein bis zwei Stunden täglich nur mit UWH beschäftigt. “Das war unfassbar viel Arbeit”, gesteht die promovierte Informatikerin. Denn was man nicht vergessen darf: Das alles passiert ehrenamtlich neben dem Beruf. Für Steidl hieß das eine Menge an Koordination zwischen Vereinen und Verband. Bei einem Schlüsseltermin zur Aufnahme in den VDST, hielt sie zusammen mit Sabina Hillebrandt einen Vortrag, den sie laut eigenen Worten detaillierter vorbereitete als die Verteidigung ihrer Doktorarbeit. Daraus lässt sich gut die besondere Motivation ableiten, die die beiden Frauen an den Tag legten. Auf die Frage, warum sie sich für den Schritt in die Verbandsarbeit entschieden, betonen beide als Antrieb ihre Liebe zum Unterwasser-Hockey. 

Mit dem Ligabetrieb kam die Leistungssteigerung

Von dem Ligabetrieb profitiert auch das Nationalteam.© Yori Huynh

Von dem Ligabetrieb profitiert auch das Nationalteam.

© Yori Huynh

Mit dem Aufbau eines organisierten Spielbetriebs sollte der Breitensport gefördert und somit UWH bekannter gemacht werden. Weitere Faktoren für den Aufbau einer Liga waren die Rechtfertigung der Nationalteams durch eine größere Anzahl an Spieler*innen sowie der Anreiz einer Deutsche Meisterschaft. Die Teams sollten ihre Spiele nicht mehr nur auf das Training und auf Spaßturniere begrenzen müssen.

Die Aufgabe der Spielbetriebsleitung übernahm Hillebrandt. Bevor es allerdings losgehen konnte, musste zuerst eine Wettkampfordnung verfasst werden. Das war eine der größten Herausforderungen am Anfang. Schließlich betrat die Neu-Funktionärin hier komplettes Neuland. Ähnliches berichtet auch Steidl, für die das Sportfunktionärswesen am Anfang ein undurchschaubares Dickicht war. Doch mit der Zeit kam es zu einer “steilen Lernkurve”, wie sie berichtet. Nachdem die Wettkampfordnung vom VDST abgesegnet wurde, ging es darum, den Teams die offiziellen Abläufe zu erklären und dafür ein Bewusstsein zu bilden. “Das war am Anfang nicht selbstverständlich”, erklärt Hillebrandt. Für viele Teams hatte der Sport zu diesem Zeitpunkt noch keinen seriösen Charakter. Doch um beim Ligabetrieb dabei sein zu dürfen, müssen alle Spieler*innen zum Beispiel Mitglied im VDST sein, Meldefristen müssen eingehalten und Formulare ausgefüllt werden. Diese Formulare zu erstellen, fiel ebenfalls in den Aufgabenbereich von Hillebrandt. 

2017 war es dann soweit und die erste Ligasaison der deutschen Unterwasser-Hockey- Geschichte konnte stattfinden. An zwei Spieltagen in München und Heidelberg trafen sich sechs Teams, um den ersten Deutschen Meister zu ermitteln. Für Sabina Hillebrandt war das eines ihrer persönlichen Karriere-Highlights. Denn abgesehen davon, dass sie maßgeblich dafür gesorgt hatte, dass es die Liga überhaupt gab, sicherte sich das von ihr gegründete Team den Titel.

In den Jahren darauf kam nur ein weiteres Team zum Spielbetrieb dazu, sodass das System mit zwei Spieltagen, zu denen alle Vereine anreisen, bisher bestehen blieb. Dieser zeitliche Rahmen wird in der nächsten Saison aber wahrscheinlich nicht mehr ausreichen, denn der TCO Weinheim wird ein zweites Team ins Becken schicken. Die aktuellen Überlegungen tendieren zu einem zusätzlichen dritten Spieltag, um die Spiele auf mehrere Termine verteilen zu können. So wächst die UWH-Szene in Deutschland langsam aber sicher. 


Einen Bericht zur Rückrunde der Saison 19/20 findest du im Wochenrecap 07/20.


Eine neue Generation nimmt die Arbeit auf

Daniel Steidl nahm bereits an drei Weltmeisteschaften teil. Für dieses Jahr ist die WM in Australien geplant.© Seretta Gamba

Daniel Steidl nahm bereits an drei Weltmeisteschaften teil. Für dieses Jahr ist die WM in Australien geplant.

© Seretta Gamba

Daniela Steidl und Sabina Hillebrandt sind dafür inzwischen nicht mehr hauptverantwortlich. Steidl ist vor rund vier Wochen von ihrem Verbandsposten zurückgetreten und bereichert den Sport jetzt “nur” als Spielerin. Hillebrandt hat aktuell das Kapitäninnen-Amt des Damen-Nationalteam inne und die Spielbetriebsleitung an Lena Kuske vom amtierenden Deutschen Meister Sporttaucher Berlin abgegeben. “Ich hab das nicht so schwierig eingeschätzt”, gesteht Hillebrandt. Nach der ganzen intensiven Zeit fühle man sich “ein bisschen wie die Mama von allem”, fügt sie hinzu. Doch sie weiß auch, dass es viele andere Leute gibt, die gute Arbeit leisten werden. “Man muss aktiv abgeben können”, sieht sie ein.

Weltmeister Deutschland?

Der Werdegang war für beide Frauen ein lehrreicher. Man müsse Geduld haben, resümiert Hillebrandt. Doch sie haben nie aufgegeben und ihren Sport Stück für Stück ausgebaut. Vielleicht war es nicht der reibungsloseste Ablauf, aber sowohl Steidl als auch Hillebrandt würden rückblickend nichts anders machen. Umso mehr freuen sie sich zu sehen, wie sich das Niveau verbessert. “Verglichen mit damals ist es um Welten besser”, freut sich Steidl. Diese Leistungssteigerung sind die Früchte der Verbreitung des Sports. Die Entwicklung ist auch im Nationalteam zu sehen. 2013 bei der WM in Ungarn war das Frauen-Team ausschließlich mit Spielerinnen der Munich Marlins besetzt. Dieses Jahr gab es zum ersten Mal eine richtige Auswahl: auf 12 Kaderplätze bewarben sich 19 Frauen. Für Hillebrandt ein tolles Signal, dass es in die richtige Richtung geht. “Das zu sehen, gibt einem viel zurück”, beteuert sie.

Ein weiterer Grund zur Freude ist für beide, dass bei der diesjährigen WM in Australien zum ersten Mal ein Herren-Nationalteam gemeldet ist. Auf den Moment, wenn beim Einlaufen der Teams ein Mann und eine Frau zusammen die deutsche Fahne tragen, freut sich Daniela Steidl besonders. “Da hab ich jetzt schon Gänsehaut”, schwärmt sie. Für den Turniersieg werde es allerdings noch nicht reichen. Aber wer weiß, wenn sich Unterwasser-Hockey weiterhin so gut entwickelt wie in den letzten Jahren, ist vielleicht auch irgendwann der Weltmeistertitel möglich. Das MUS-Team wird dann sicherlich berichten.

 

Wenn dir der Artikel gefallen hat und du uns gerne unterstützen möchtest, dann kannst du das auf Patreon oder PayPal tun. Wenn du wissen willst, wofür wir deine Unterstützung brauchen, dann schau bei uns im Fanclub vorbei!